Zerrieben zwischen den Mechanismen der Macht
Robert Michels postulierte einmal, dass Führungsgruppen in Organisationen zunehmend an eigenen Interessen, persönlichem Nutzen – insbesondere sichergestellt durch den Erhalt der Organisation – interessiert sind. Die einstigen Ziele der Gruppe, an deren Spitze sie stehen, treten, so Michels, in den Hintergrund. Auch Alexander Vodopivec schrieb in seinem Buch „Wer regiert in Österreich“ ein aufschlussreiches Kapitel über die „Oligarchie in der Demokratie“. Das Muskelspiel einiger derart in Oligarchen-Manier agierenden Kammerfunktionäre konnte nun gerade eben, am 21. Juni, in Aktion erlebt werden: Obwohl das zuständige Ministerium den Entfall von §94 Ziffer 20 der Gewerbeordnung vorsieht, und obwohl die Freigabe des Gewerbes bei einer geheimen Abstimmung im Nationalrat auch hervorragende Chancen hätte, die nötige Zustimmung zu finden, sind es zwei einzelne Kammerfunktionäre, die stellvertretend für alle entscheiden wollen, dass Österreich kein uneingeschränkt freies Gewerbe braucht.
Hier wird ein Mechanismus sichtbar gemacht, dessen fortgesetzte Wirkung mittlerweile dazu geführt hat, dass in Österreich Politikverdrossenheit und Wutbürgertum rasant zugenommen haben. Wie der Sekretär eines Nationalratsabgeordneten resigniert feststellte, wären die Abgeordneten im Nationalrat inzwischen vorwiegend dazu verdammt, bei der Abstimmung „brav das Pfoterl zu heben“, wie es der jeweilige Klubvorsitzende gerade vorgebe. Das Ausscheren aus dem Klubzwang als Beweis demokratischen Mutes werde von den Fraktionen leider gar nicht geschätzt, und so herrscht größtenteils auch disziplinierte, blockweise Abstimmung. Man mag ja durchaus auch Vorzüge des Klubzwangs anerkennen, zu denen einfach die bessere Überschaubarkeit und das Fehlen „unangenehmer Überraschungen“ bei Abstimmungen gehören. Wo kämen wir denn da auch hin, wenn Abgeordnete nur ihrem eigenen Gewissen verantwortlich sein wollten?
Dabei muss angenommen werden, dass offene und/oder blockweise Abstimmungen als Regelfall der Beschlussfassung verfassungsrechtlich bedenklich sind, Abgeordnete haben vielmehr ein (für alle erkennbar) freies Mandat auszuüben, und sollten nur sich selbst und ihrem Gewissen verantwortlich sein: „Zur Vorstellung von repräsentativer Demokratie gehörte unverzichtbar die Freiheit des Mandats. Sie ist in Art. 56 (1) des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) definiert: ‚Die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden.’ Die Abgeordneten werden zwar von den Parteien ausgesucht und vom Volk gewählt, dürfen aber nicht auf Vorgaben verpflichtet werden, sondern sollen unabhängig und nur ihrem Gewissen verantwortlich sein, wenn sie im Parlament das Wort ergreifen oder abstimmen.“ (Peter Warta, DER STANDARD, 2.2.2012)
Die Abgeordneten Steindl und Matznetter hätten also mit einer allfällig erfolgten „Vergatterung“ ihrer Fraktionskollegen bereits direkt gegen Artikel 56 B-VG verstoßen. Ich würde mir von Herzen wünschen, dass sich unser Staatsoberhaupt Dr. Fischer auf Grund dieses skandalösen Machtmissbrauches mit seiner direktdemokratisch legitimierten Autorität einbrächte, und endlich die „scheindemokratischen“ Vorgänge im Ausschuss des Nationalrats maßregeln sollte.
Es ist was faul im Staate Österreich
Das Fehlen einer so elementaren demokratiepolitischen Selbstverständlichkeit wie der Gewissensfreiheit führt im gesetzgebenden Organ langsam aber sicher zu einkehrender Tristesse: „Verfolgt man eine Sitzung des Nationalrates, so befällt einen oft das Gefühl, Marionetten vor sich zu haben. Für die Kameras ein Debatten- und Zwischenruftheater, auf den Bänken Abgeordnete, die sich langweilen, weil sie ohnehin längst wissen, wie sie gehorsamst abzustimmen haben.“ (Peter Warta, DER STANDARD, 2.2.2012) Abgeordnete fügen sich erkennbar lieber dem gewissen Zwang der Fraktionsdisziplin als dem weniger disziplinierenden Gewissenszwang. „§ 66 der Geschäftsordnung des Nationalrates sieht die Kontrolle des Abstimmungsverhaltens ausdrücklich vor und verhindert so – man kann sagen: vorsätzlich – das freie Stimmrecht der Abgeordneten.“ (Peter Warta, ebd.)
Allein durch die Umkehr des legislatorischen Prozesses, also dem faktischen Zustandekommen der Entscheidungen bereits vor der eigentlichen Abstimmung, wird das demokratische Prinzip ad absurdum geführt. Lobbying zur Wahrung von Partikularinteressen – potenziell auch entgegen den Interessen der Gemeinschaft bzw. Gesellschaft – wird damit gefährlich stark gefördert. Das herrschende Prinzip, mit Abgeordneten die nur selten ihr Gewissen befragen und nur den Vorgaben einiger Weniger zu folgen haben, führt uns geradewegs in ein neues System der Oligarchen: „Es besteht heute sicher die Gefahr einer Refeudalisierung unserer Gesellschaft, die Aneignung des Staates und des Marktes durch lokale Clans. Das Gefühl der Menschen, machtlos zu sein, nichts beitragen zu können in dieser Welt, dass die eigene Stimme keine Auswirkungen hat, ist aber der größte Feind der Demokratie. (Harald Katzmair auf www.sjoe.at)
Auch im Fall der Freigabe der Fotografie fallen die (Vor-)Entscheidungen nicht im Nationalrat sondern in den vorgelagerten Gremien, wie hier dem Ausschuss für Wirtschaft und Industrie. Dort unterwirft man sich ebenso der Parteidisziplin, und nur einige wenige Repräsentanten sind meinungsbildend, wie im konreten Fall die Abgeordneten Steindl und Matznetter. Diese beiden Herren vertreten nun subsidiarisch die festgefahrene Position der Wirtschaftskammer, die wiederum wesentlich durch den starren Standpunkt einiger Vertreter der Berufsfotografeninnung diktiert wird. Wie ein faules Ei den ganzen Kuchen verdirbt, „fault“ es von der Innungsvertretung ausgehend so lange weiter, bis uns am Ende ein höchst fauler Kompromiss auf’s fotografische Auge gedrückt werden soll.
Mies – Misere – Kompromiss?
Abschließend sei noch einmal auf die dürftige „Qualität“ des drohenden Kuhhandels eingegangen: Künstler drohen bei diesem Kompromiss vollkommen durch den Rost zu fallen, da allein gewerbetechnische Aspekte bedacht würden, und zum Beispiel das Anfertigen künstlerischer Portraits wohl weiterhin in Unterlassungsverfügungen der Innung münden würde. Auch die kommerzielle Fotografie in Ausübung der Nebenrechte anderer Gewerbe hat in Zukunft ohne Sanktionen möglich zu sein. Genau davor haben aber die Innungsvertreter offensichtlich am meisten Angst. Dass Berufsfotografen derzeit bereits zahlreiche Nebenrechte anderer, freier Gewerbe wie selbstverständlich in Anspruch nehmen, hat einen merkwürdigen Beigeschmack. Es soll also weiterhin mit zweierlei Maß gemessen werden: Fotografen wollen nach wie vor Privilegierte sein, und versuchen nach Kräften, die gebotene Gleichheit vor dem Recht zu leugnen. Lediglich der Kreis der Privilegierten soll mit diesem Kompromiss erweitert werden. Von einer modernen und europarechtskonformen Interpretation fotografischer Dienstleistungen ist dieser Kompromiss aber immer noch so weit entfernt wie Baku von Brüssel.
Wir appellierten daher eindringlich an die Verantwortlichen, aus den Geboten der Vernunft die Freigabe genau so umzusetzen, wie sie im Ministerialentwurf vorgesehen war.
Nachtrag, 2012
Inzwischen wissen wir, dass sich die Kräfte der Beharrung doch noch weitgehend durchgesetzt haben, und die Kräfte der Vernunft nur einen Teilerfolg erzielen konnten, indem Pressefotografen und teilberechtigten Fotografen nach drei Jahren Praxis das Lösen eines Gewerbescheins gestattet wird. So weit, so gut. Wenig geändert hat sich allerdings für Nebenerwerbsfotografen (Ausübung der Nebenrechte anderer Gewerbetreibender) und künstlerische Fotografen ohne anerkannte Ausbildung, da diesen weiterhin die attraktivsten Sparten – die Privatkundengeschäfte – nicht offen stehen. Der Kampf für die Freie Fotografie ist also noch nicht beendet!
Zweiter Nachtrag, 2013
Zuletzt konnten sich die Kräfte der Vernunft doch noch durchsetzen, aber wie so oft mussten erst die Verfassungsrichter ein Machtwort sprechen, weil sich Gesetze und ihre Anwendung zu weit auseinander bewegt haben. Fotografie ist nun als Ganzes ein freies Gewerbe. Der Kampf für die Freie Fotografie scheint beendet zu sein!